Lokaltermin Schwamendingen

Auf Initiative der Arbeitsgruppe Kunst im öffentlichen Raum der Stadt Zürich (AG KiöR) findet seit 2010 unter dem Titel «Lokaltermin Schwamendingen» eine künstlerische Langzeitstudie in Schwamendingen statt. Das an der Peripherie Zürichs liegende Quartier macht – auch aufgrund der geplanten Einhausung der Autobahn – einen grossen städtebaulichen Wandel durch. Diese Transformationsprozesse zu reflektieren und zu bearbeiten ist das Ziel der künstlerischen Auseinandersetzung.
Ruth Erdt (*1965) zeigt unter dem Titel «Schwamdings Part 5» bereits zum fünften Mal einen Ausschnitt aus ihrer fotografischen Langzeitstudie über die Entwicklungen in Zürich-Nord. Seit 2012 dokumentiert die Fotografin die vielen Momente des Umbruchs. Dieses Mal rückt sie die Ambivalenz des Bauens ins Zentrum: Auf der einen Seite fallen der Einhausung viele Liegenschaften zum Opfer, weil sie dem Strassenbau- und Parkprojekt im Weg stehen und abgebrochen werden müssen. Damit verschwinden historische, kleinräumige Wohnformen aus der Zeit der Gartenstadt der 1940er und 1950er Jahre. Auf der anderen Seite entstehen neue Gebäude, die den Lebensstil der Jetztzeit nach Schwamendingen bringen – moderne Mehrfamilienhäuser mit grosszügigen Grundrissen und einer nachhaltigeren Energiebilanz.
Diese Geschichten von Abbruch und Neubau hat Ruth Erdt in einer eindrücklichen Bilderserie dokumentiert und einige der Sujets als Postkarten editiert, die in Schwamendingen als „card for free“ aufliegen. Zusätzlich zu den mehr als tausend Bildern, die im 2016 entstanden sind, zeigt die Künstlerin in der Galerie Tenne eine Reihe von Architekturmodellen aus Karton. Überbleibsel von ETH-Semesterarbeiten, welche Architekturstudentinnen und -studenten nach der Beurteilung durch die Professoren zur Entsorgung zurückgelassen haben. Ruth Erdt hat diese architektonischen Fundobjekte in ihre fotografische Dokumentation von Entwurf, Zerstörung und Neubau integriert und zeichnet damit ein überaus authentisches und stimmiges Bild der spannungsvollen Prozesse, die Schwamendingen momentan erfährt.
Veronika Spierenburg (*1981) lebt in Zürich und beschäftigt sich in ihrer künstlerischen Arbeit mit der Differenz von Kulturen, mit dem Reichtum, der aus den Unterschieden erwächst. Eine dreimonatige Reise durch Japan mündet in einer Untersuchung zu Materialien, Techniken und Texturen, die als Buch zusammengefasst publiziert werden. Oder sie transportiert die in Brasilien bei Hochhäusern weit verbreitete Mosaiktechnik in unseren Breitengrad und lässt die Glaskeramikplatten im Innern des Lenzburger Gefängnis als farbenfrohes Muster auf die Mauern applizieren.
In Schwamendingen befasst sich Spierenburg mit Architekturen, die von Skateboardern benutzt werden, den Pipes. Ausgehend von diesen Röhren, die gerne als Plattformen für den Sport benutzt werden, will die Künstlerin einen darüber hinaus funktionierenden Treffpunkt im Quartier schaffen. Spierenburgs «Pipe» weist zwar in der Form noch Ähnlichkeiten mit der Skater-Architektur auf, soll jedoch vor allem als Pavillon-Bühne für Veranstaltungen dienen. In der Ausstellung der Galerie Tenne lässt die Künstlerin das Publikum am Entwicklungsprozess für das noch unfertige – möglicherweise auch unrealisiert bleibende – Kunstwerk teilhaben.
 
 

Schreibe einen Kommentar